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Michelangelo

Daten:45.933 tdw,Länge, 275,81,Breite 31,50, Tiefgang 10,40m, Baujahr 1965, 1775 Passagiere + 775 Besatzung

Von kleinen und großen Schiffen...

Das  kleine  Schiff  war  die  "Altmark", das  grosse  Schiff  der  "Fleischdampfer", der  am  frühen  Morgen  an  der  Passagierkai  in  Alexandria  festmachte- das italienische  Kreuzfahrtschiff  "Michelangelo". Genau  an  der  Pier, an  der  wir  schon  häufiger  lagen und  das  rege  Treiben  der  an- und  abfahrenden  Busse  zu  den  Sehenswürdigkeiten  Ägyptens  interessiert  beobachteten. Fleischdampfer?  Ein  derber  Begriff  der  Seeleute  für  diese  Art  Schiffe. Wer  aber  die  vielen  Reihen  Liegestühle  mit  knackigen, gebräunten  Touristinnen  auf  dem  Deck  am  Swimmingpool  sah..... na  ja, man  war  lange  weg  von  Zuhause.

Die  "Michelangelo"  war  zur  damaligen  Zeit  (60/70er Jahre)  ein  Schiff  der Superlative. Über  46.000 tdw, 275m  lang  und  fast  32  m breit, das  waren  schon  Abmessungen. 1775  Passagiere  und  775  Besatzungsangehörige  waren  beachtlich.In der  Mittagspause  wollten  mein  Kollege  Herbert L. und  ich mal  eine  Exkursion  zu diesem  Schiff  unternehmen. Oft  verbrachten  wir  damals unsere  Freizeit  in  dem  riesigen  Passagierterminal. Ein  alter  englischer  Bau, in  dem  man  von  einer  Balustrade  im  Inneren, das  rege  Treiben  von  einer  Cafeteria aus,  von  oben   beobachten  konnte. Hier  konnte  man  auch  alle  wichtigen  Besorgungen  wie  Post, Geldwechsel  und  Souvenirs  erledigen. Wir waren immer  froh,  der  Hektik  und  Hitze  an  Bord,  kurzfristig  entkommen  zu sein. Hier  traf  es  sich, daß  wir  ein  Besatzungsmitglied  der  "Michelangelo"  kennenlernten, das  ähnliche  Ambitionen  wie  wir  hatte- Pause  und Ruhe. Mit  einer  nur  dem  Seemann  gegebenen Art von Kontaktfreudigkeit, stellten  wir  zu  unserer  Freude  fest,  es  handelte  sich  um  den  Chef  der  Bäckerei  dieses  Schiffes, der  aus  Triest  stammte  und  auf  Grund  östereichischer  Wurzeln  perfekt  deutsch  sprach. Hier  holten  wir  uns  die ersten  Informationen  zu  diesem  Schiff. Für  diese  Bereitschaft  luden  wir  ihn kurzfristig  zu  uns  an  Bord  ein  und  erfüllten  ihm  den  angedeuteten Wunsch  nach "deutschen  Bier" und  deftiger  Kost. Fazit: Ein Gegenbesuch  nach  Feierabend  zur  Besichtigung  des  Kreuzfahrers  war  die Folge.

Ballroom

Kulturschock...

Es  war  nicht  der  erste  Besuch  auf  einem  Kreuzfahrer. Die  alte "Stockholm" (spätere  "Völkerfreundschaft")  und  die  imposante  "Achille  Lauro"  war  schon  als  Vergleichsgrundlage  vorhanden. Was  uns  aber  auf  der  "Michelangelo"  erwartete ,war  schlichtweg  ein  Kulturschock. Ein  Großteil  der  Passagiere  war  noch  auf  Exkursion  und  wir  konnten  das  Schiff  unter  sachkundiger  Führung  von  oben  bis  unten, in  allen  Preisklassen  besichtigen. Es  sprengte  unsere  Vorstellungswelt  der  Schifffahrt, hatten  wir  doch  täglich  auf  unserem  Alttonnage- Dampfer  eine  andere  Dimension  der  Arbeits- und  Lebensbedingungen  an  Bord. Brücke, Maschine- gigantisch. Flaniermeilen, ähnlich  heutiger  Fußgängerzonen, nach  Klassen  unterteilt,  mit  Shoppingmöglichkeiten  jeder  Art. Gemäldegalerien, Bibliotheken, museale  Ausstellungen, Schönheitsalons, Kinos, Theater, Bars, Pubs, Restaurants -nichts  fehlte. Damals  waren  überwiegend  amerikanische  Touristen  an  Bord  und  als  wir  in  die  laufende  Theateraufführung  reinschauten, hatten  wir  angesichts  der  "klunkerbehangenen" Uralttouristen  das  unwillkürliche  Gefühl,  es  roch  nach  Geld  und  Reichtum. In  der  Luxusklasse  wurden  auf  diesem Schiff  535, Kabinenklasse  550  und  in  der  Touristikklasse   690  Passagiere  befördert. Dafür  gab  es  u.a.  sogar  unterschiedliche  Swimmingpools...

Beeindruckend  dann  der  Besuch  der  Borddruckerei, die  gerade  die Sportseite  der  aktuellen  Tageszeitung  mit  den  Fußballergebnissen  der  14 Mannschaften   der  Bordliga  aktualisierte. Eine  bordeigene  Feuerwehr mit  kompletten  Löschzügen  und  ein  separates  Einkaufscenter  für  die Besatzung-  eine  Stadt  auf  dem  Wasser. Dann  waren  wir  in  der  Großküche, Fleischerei, Konditorei  und  der  riesigen  Schiffsbäckerei, in  denen   im  Drei- Schicht- Rythmus  emsig  gewuselt  wurde. Gabelstapler  waren  in  den  Proviant-  und  Warenlasten  im  Dauereinsatz.  Einfach  beeindruckend.

Seeleute...

Gegen  Mitternacht  fanden  wir  uns  dann  in  einem  riesigen  Speisesaal wieder,  in  dem  gerade  die  zweite  Schicht  von  ca. 250  Stewards  ihr Abendbrot  einnahm. Unser  italienisch- östereichischer  Bäckermeister  und Gastgeber  stellte  uns  eine  Kiste  "Dreher-Pils"  auf  die  Back  und  wir konnten  mal  probieren  was  es  so  im  Angebot  der  Crew- Verpflegung gab. Toll, Wein  gab  es  auch  ausreichend . Ein  paar  Kollegen  gesellten  sich  dazu,  es wurde  eine  nette  Fragerunde  und  die  Zeit  lief  gegen  uns, begann  doch  am  Seemannssonntag  die  Arbeitszeit  schon  um  vier  Uhr. Das Problem  klärte  sich  dann  so, daß  unser  Gastgeber  versicherte  uns  zum Frühstück  mit  Brötchen  zu  beliefern.  Etwas  skeptisch  im  Hinterkopf, aber wir  nahmen  das  Angebot  an. Um  es  abzukürzen, wir  waren  sehr  "früh" wieder  an  Bord  und  pünktlich  zum  Frühstück  erschienen  an  unser Gangway  beim  Wachsmatrosen, zwei  Crewmitglieder  der  "Michelangelo" mit vier  Riesentüten  Brötchen  und  anderem  Frühstücksgebäck. Mit  einem kleinen   Abschiedsgeschenk  für  den  Organisator  und  den Überbringern bedankten  wir  uns. Die  Besatzung  der "Altmark" musste  für  3 Wochen annehmen, ihr   backman  hat  in  Alexandria  nächtens  einen  Meisterkurs  für  internationale  Backkunst  absolviert.... Etwas  beeindruckt  sahen  wir  dann, wie  das  Kreuzfahrtschiff  am  frühen  Morgen  majestätisch  an  uns  vorbei  auslief  und  schnell  am  Horizont  verschwand.

Nachtrag:

Für  mich  war  dieses  Kreuzfahrtschiff, genau  wie  das Schwesternschiff "Raffaelo",  optisch  die  Krönung  einer  extravaganten  Schiffsform. Trotz  der gewaltigen  Dimensionen, sah  es  immer  noch  wie  ein   Schiff aus  und  man konnte  ohne  Weiteres  die  Konturen  einer  Rennyacht  bzw.  die  Schiffsform eines  Schoners, wie  er  vor  150  Jahren  schon  die  Meere  befuhr, klar erkennen. Wenn  ich  heute  den  Kult  "Kreuzfahrtschiff", um proportionslose, unförmige  Ungetüme  aus  Stahl  mit  kubischer  Containerform  erlebe, denke ich  an  diese  Zeit  "richtiger " Passagierschiffe  zurück  und  an  Seefahrt, wie sie  nie  wieder  sein  wird.

C.K.

"Achille Lauro"/ Alexandria
"Völkerfreundschaft" ex "Stockholm"/Biscaya

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